Auf den Spuren der Edda

Der Gođafoss (Götterfall)

Mit unserem Lada Niva im Hochland Islands.
Mit unserem Lada Niva im Hochland Islands.

IM ISLÄNDISCHEN HOCHLAND: auf den Spuren der Edda-Dichtung

Wir wussten, dass wir angekommen waren. Alles kam uns bekannt vor, die Textstellen aus der Edda schwirrten mir durch den Kopf. „Ich bin so geschafft, dass ich von Kopf bis Fuß vibriere“ sagte ich zu meinem Mann, als ich nach sieben Stunden Fußmarsch über Felstrümmer endlich in unserem Zelt im Dyngjufjalladalur zur Ruhe kam. „Das sind nicht deine Nerven, das ist ein Erdbeben“, antwortete Horst. Mehrere Wochen lang durchstreiften wir den zum Teil weglosen Bereich des isländischen Hochlandes zwischen der letzten bewohnten Farm Svartárkot im Norden, den Gletschern an der Südküste und dem Askja-Massiv mitten in der Wüste.

Gerade diese Mischung aus Legende, Dichtung, Geologie und Geografie machte diese Reise im Sommer des Jahres 2000 für uns so unvergesslich – so unvergesslich, dass wir in den Folgejahren immer wieder zurückkamen.

Inspiriert von Walter Hansens Buch „Asgard – Entdeckungsfahrt in die germanische Götterwelt Islands“, hatten wir es uns in den Kopf gesetzt, diesen sicherlich unbekanntesten Teil des isländischen Hochlandes kennenzulernen.
Und unser kleiner grüner Lada Niva, liebevoll von uns „Karl-Heinz“ genannt, trug uns ohne Murren über die abenteuerliche Piste.

So ganz ernst und wissenschaftlich sollte man unseren Ausflug in die Welt der germanischen Götter aber nicht sehen.

'Bók þessi heitur Edda, hana hefir saman setta Snorri Sturluson'.
So beginnt das literarische Meisterwerk, das auch in mehreren deutschen Übersetzungen vorliegt. Die Edda nimmt innerhalb der europäischen Literatur des Hochmittelalters eine besondere Stellung ein, weil sie eine umfassende Darstellung der mythologischen Überlieferung und religiösen Weltanschauung des ausgehenden 10. Jahrhunderts vereint.

Schaut man sich die Texte einmal genauer an, so ist man von den Sagen sofort gefesselt. Da kämpfen mit List und Tücke die alten Götter gegeneinander, da erzählen Verse von Dämonen, Riesen und Zwergen. Dicht nebeneinander die Komödien und Tragödien vom Weltanfang und Weltuntergang. Aus der Edda kennen wir Göttervater Odin, der auf seinem achtbeinigen Schimmel „Sleipnir“ reitet. Auf seiner Schulter sitzen die beiden Raben Hugin und Munin, die ihm tagtäglich alle Neuigkeiten der Welt zutragen. Bekannt ist natürlich auch der Gewittergott Thor, der donnergrollend am Himmel entlang fährt und blitzezuckend seinen Hammer Mjölnir zur Erde schleudert.

Winzig klein wirkt unser Auto zwischen den Kegeln der Götter.

Aber die Edda ist bis heute auch ein literarisches Werk, das von verschlüsselten Geheimnissen nur so wimmelt. Meisterhaft haben es die alten Dichter verstanden, sagenhafte Orte in Bilderrätseln, Symbolen und geheimnisvollen Namen zu verstecken. Um die in der Edda beschriebenen Schauplätze in der isländischen Landschaft zu suchen und zu dokumentieren, hatten wir uns insgesamt sieben Wochen Zeit genommen. Natürlich mussten wir auf unserer Reise immer wieder das unwegsame und unbewohnte Hochland verlassen, um Diesel zu Tanken, Lebensmittel einzukaufen oder einfach einmal wieder unter Menschen zu kommen.

Bereits zu Hause hatten wir uns auf die Spurensuche im Hochland vorbereitet. GPS, Kompass und gutes Kartenmaterial waren selbstverständlich. Auch die gängigen Edda-Texte wurden durchforstet, Merkzettel mit Notitzen vollgeschrieben. Ausrüstung für den Geländewagen, wie HiJack-Wagenheber, 100 Liter Diesel extra, zwei Ersatzreifen und die wichtigsten Ersatzteile waren an Bord. Da wir ja in Europas größter Wüste unterwegs sein wollten, mussten auch entsprechende Wasservorräte mit. Lebensmittel für mehrere Tage und auch ein gutes, sturmerprobtes Zelt gehörten zu unserer Ausrüstung.

Unser Zelt im Hochland. Das Hilleberg Keron GT3 ist äußerst sturmstabil und für solche Expeditionen gut geeignet.
Stricklava im Hochland.

Bis zur Farm Svartakórt war die Strecke noch einfach zu befahren. Danach endete die Straße abrupt. Und auch das Wetter kippte. Dichte Nebelschwaden, später auch Nieselregen umwallte uns. Absolut kein Fotowetter. Also warten.

Ein kleiner See und ein schöner Wasserfall luden zur Rast ein. Schnell das Zelt aufgebaut und dann gemütlich im Schlafsack noch einmal die Geländekarten studieren. Am nächsten Morgen war keine Wetterbesserung in Sicht. Undurchdringlich der Nebel. Nur einige Goldregenpfeifer ließen ihre charakteristischen Rufe am See ertönen. Was tun? Weiterwarten und ein bisschen Angeln. Am späten Abend klart es dann auf. Dunkel wird es hier im Norden Islands im Juli sowieso nicht. Die Sterne funkeln plötzlich über uns. Am nächsten Morgen dann Raureif auf unserem Zelt, aber dafür auch blauer Himmel und Sonnenschein. Jetzt kann das Abenteuer endlich beginnen.

Südostwärts führten die Steinmännchen als Wegweiser. Dicht bewachsen ist hier die Lava mit Zipfelzackenmoos. Ganz in der Ferne taucht die Silhouette der Herdubreid auf. Majestätisch thront Islands Berg der Berge wie eine überdimensionale Geburtstagstorte in der Landschaft. Der Nachtfrost hat sie wie mit Puderzucker bestäubt. Obskur verdrehte Lavaströme, die stark an geflochtene Zöpfe oder Wellen erinnern, beherrschen das Bild und auch unser Auto. Wir schaukeln wie im Sturm über die Lavakanten.

Herđubreiđ (deutsch: die Breitschultrige) gilt mit ihrer auffälligen Form eines Tafelvulkans als Götterburg Asgard. Der Berg ist 1682 Meter hoch und liegt im isländischen Hochland in der Wüste Ódáđahraun, nicht weit entfernt vom Vulkan Askja.
Eine Hütte für Wanderer im isländischen Hochland.

Útbruni heißt dieses Gebiet im Ódádahraun, der Missetäterwüste. Nach wüster Fahrt über Platten- und Strukturlava kommt die Wanderhütte Bótni in Sicht. Kaffeepause und den Blick über die völlig ungewohnte Lavalandschaft genießen. Bevor wir weiterfahren, hisst Horst noch die isländische Flagge am Fahnenmast vor der Hütte. Ab jetzt wird die Strecke richtig übel. Ich gehe mittlerweile voraus, räume die Steinbrocken aus dem Weg und suche die bestmögliche Piste für unser Auto. Sieben Stunden benötigen wir für die kommenden 30 Kilometer. Die atemberaubende Landschaft entschädigt für die Plackerei.

Abends dann im Zelt noch eine Überraschung: Plötzlich zittern Gestänge und Isomatte. Töpfe klappern in der Apsis. Uns hat eines der vielen Erdbeben in dieser Gegend erwischt. Es ist schon ein bisschen beängstigend hier zu liegen und einfach nur abzuwarten. Die Natur hat hier das Sagen.

Útbruni heißt dieses Gebiet im Ódádahraun (Missetäterwüste).
Unser Nachtlager in einer kleinen Oase im Niemandsland.

Endlich mündet unser Trek in eine flache Wüstenebene. Wir halten uns südlich und bereits nach kurzer Zeit taucht das sagenumwobene Dyngjufjalladalur vor uns auf. Fast bekommt man den Eindruck, in einen Canyon einzutauchen. Bläulich-violett leuchtet das Gestein in der Abendsonne. In einer felsgeschützten Ecke bauen wir das Nachtlager auf. Das ist jetzt der dritte Tag, an dem wir keinem einzigen Menschen begegnet sind.

Aber die Trolle und Elfen müssen wohl in der Nähe sein. Mehrfach höre ich in der Nacht einen Reißverschluss zippen. Am nächsten Morgen steht unser Zelteingang sperrangelweit offen......

Die Lavafelder verlieren nach und nach jegliche Vegetation – wir sind in Europas größter Wüste angekommen. Es regnet hier zwar häufig und ausdauernd, die Lava kann jedoch kein Wasser speichern. Pflanzen haben keine Chance. Das Handy hat auch keinen Empfang mehr. So muss es auf dem Mond sein. Und mindestens so einsam ist es hier auch.

Allmählich verwandelt sich die Landschaft um uns herum, Steinformationen beherrschen unseren Blick.

Wie Burgruinen reihen sich die steil aufragenden Tuffbergen aneinander.

Heute werden wir endlich die mystischen Stätten der alten Götter und deren Widersacher sehen. Horst füllt aus unseren Reservekanistern Dieselkraftstoff nach. Es ist ein gutes Gefühl, hier draußen ein paar Liter mehr auf Vorrat zu haben. Im Tal dann wieder Flüsse und Bäche – teilweise müssen wir furten, natürlich gibt es hier keine Brücken.

Und dann betreten wir das Land der Steinriesen. Burgruinen reihen sich an den steil aufragenden Tuffbergen aneinander. Launen der Natur, Erosionsprodukte der vulkanischen Tätigkeit. Diese Felsschlösser sind vom Sandstrahlgebläse des Wüstensturms aus dem Tuff modelliert worden. Wie aus dem Märchenbuch, mit Zinnen und Türmchen. Sogar bei Sonnenschein ist die Täuschung perfekt. War eines dieser Erosionsgebilde etwa Hrungnirs Felsenburg Griottunagard? Wenn ja, welche?

Wie auf einer riesigen Freilichtbühne tauchte bald der sich nur wenig über dem Horizont wölbende Schildvulkan Trölladyngja (isländisch: Schild des Riesen) auf. Beim Anblick dieser sehr seltenen Vulkanform drängt sich sofort der Gedanke auf, dass das Hrungnirs sagenhafter Riesenschild sein könnte. Und dann stockte uns der Atem. Kaum hatten wir nämlich das Dyngjufjalladalur verlassen, da lag in der flachen Lavaebene die Szene der Hrungnirsage vor uns: Die schwarze Felsenburg des Bergriesen ragt aus der Ebene höher empor als alle anderen und bewacht sozusagen den Eingang zum Tal.

Trolle und Zwerge begleiteten uns auf unserem Weg durchs isländische Hochland.
Der lehmfarbene Bergrücken ist eine spezielle Form des Vulkanismus.

Wie ein auf den Boden geworfener Riesenschild gleich daneben der Vulkankegel der Trölladyngja. Etwa 300 Meter im Durchmesser und 50 Meter hoch. Auf dem Bergplateau liegen – wie in der Sage beschrieben – die Überreste des Steinriesen, der durch eine List vom Gewittergott Thor besiegt wurde. Thor behauptete nämlich, seinen Hammer Mjölnir aus der Erde heraus, also von unten auf den Riesen schleudern zu wollen. Dieser stieg um sich zu schützen auf seinen Schild und der listige Gott konnte mit seinem Hammer Hrungnir erschlagen.

Ein paar hundert Meter weiter liegt unübersehbar Mökkurkalfi, laut Sage ein künstlich erschaffener Koloss aus Lehm, der Hrungnir als Diener und Krieger zur Seite stand. Mökkurkalfi war aber sehr furchtsam, er hatte nur das Herz einer Stute bekommen. Als Thor heranbrauste und seinen Hammer schwang, machte er sich sogar in die Hose.

Hier liegt er nun vor uns, ein rund 900 Meter langer, lehmfarbener Bergrücken. Isländische Geologen haben ihn Kattbekingur (Katzenbuckel) genannt. Die extrem schnell erstarrte und nicht kristallisierte Lava sieht aus wie weicher Lehm oder Ton und ist eine ungewöhnliche Spielart des Vulkanismus. Und auch das peinliche Malheur aus der Sage ist vorhanden. Da entspringt doch wirklich am Rumpf des Körpers eine kleine Quelle.

Der Vulkankegel der Trölladyngja. Etwa 300 Meter im Durchmesser und 50 Meter hoch liegt er wie ein Riesenpfannkuchen in der Ebene.
Die Askja liegt über 1000 Meter hoch und ist nur zu Fuß erreichbar.

Über die F910 erreichen wir die Dreki Hütte mit angeschlossenem Campingplatz an der Askja im Dyngjufjöll-Gebirge. Eine Menge Hinweise sprechen dafür, dass diese „Schachtel“, wie die Askja in der Übersetzung heißt, die Heimat der Zwerge ist. Genau kann man den mythologischen Spuren nicht mehr folgen, da im Jahr 1875 eine riesige Eruption das 1510 Meter hohe Dyngjufjöll-Massiv völlig veränderte. Irgendwann brach im Zentrum des Felsmassivs der Boden durch und zwischen hoch aufragenden Felswänden bildete sich eine schachtelförmige Einsenkung mit acht Kilometern Kantenlänge. Zur Zeit der Edda-Dichter hatte es die Caldera aber sicher schon gegeben.

Die Askja liegt über 1000 Meter hoch und ist nur zu Fuß erreichbar. Auch im Hochsommer führt der Wanderpfad über Schneefelder und verharrschte Schneebretter. In der isländischen Touristensaison kann man mittlerweile geführte Touren zu Viti und Öskjuvatn buchen. Die Busfahrer versorgen die Wanderer sogar mit Plastiktüten, damit das meist nicht sonderlich geeignete Schuhwerk wenigstens etwas vor Eis und Schnee geschützt ist.

Und dann kommt man ins Zwergenland. Schwarz, weiß und rot herrschen als Farben vor. Weißer Schnee, schwarze Felsen und immer wieder Gestein, das wie rotglühend wirkt. Nach etwa fünf Kilometern kommen die beiden Seen in der Mitte der Caldera in Sicht. Unterschiedlicher kann man sich zwei benachbarte Gewässer aber gar nicht vorstellen. Kalt und mit Eisschollen bedeckt, der große Öskjuvatn, daneben unergründlich, tief, warm und nach Schwefel stinkend der Explosionskrater Viti (isländisch: Hölle).


Man kann darin sogar baden!!!!

Der heiße Viti (vorne) und der eiskalte Öskjuvatn in der Caldera der Askja.

Goldgelber Bimsstein in der Caldera der Askja.

Bei Sonnenschein tritt im gesamten Askjagebiet ein Phänomen an den Tag, das Staunen lasst: Weite Flächen des Bodens glänzen und glitzern wie Gold in einer Schachtel. Bimsstein ist geologisch nichts anderes als in kleinen Bröckchen erstarrter Lavaschaum, der porös und leichter als Wasser ist. Die Zwerge der Edda-Sagen sind die Schwarzalfen. Sie sind unförmig, rechthaberisch, verwachsen, eitel und anmaßend, heißt es. Sogar unser Wort Alptraum lässt sich etymologisch davon ableiten. Alle Wunderwaffen der germanischen Götterwelt wie Thors Hammer oder Siegfrieds Schwert stammen aus ihrer unterirdischen Werkstatt. Das Reich der Zwerge heißt Svartalfaheimar (Schwarzalfenheim). Es liegt unter der Erde, denn die Sonne verwandelt jeden Zwerg, den sie mit ihren Strahlen trifft, sofort in einen Felsen.Tagsüber arbeiten sie in ihren unterirdischen Werkstätten, manchmal kann man ihr Klopfen, Hämmern und Blasebalgzischen aus dem Erdinneren hören.

Gold und Edelstein sollen die Schwarzalfen in der Askja horten. Auf einer Wanderung lassen sich die Stellen finden, an denen die Zwerge auch heute noch ihre Schätze verbergen. Man muss nur die Augen aufmachen und etwas Fantasie mitbringen.
Bei Sonnenschein tritt im gesamten Askjagebiet nämlich ein Phänomen an den Tag, das Staunen lasst: Weite Flächen des Bodens glänzen und glitzern wie Gold in einer Schachtel. Bimsstein ist geologisch nichts anderes als in kleinen Bröckchen erstarrter Lavaschaum, der porös und leichter als Wasser ist. Im Gebiet der Askja wurde überwiegend goldfarbener Bimsstein in großen Mengen eruptiert. Wenn man auf einem Felsabhang steht und über den Schachtelboden schaut, sieht man das glänzende Material so weit das Auge reicht. Heute wird Bims aus dieser Gegend sogar benutzt, um bei modischen Jeans für den „stone-washend“ Effekt zu sorgen.

Im Askjakessel findet man aber auch Obsidian in Hülle und Fülle. Dieser tief schwarze, stark glänzende Halbedelstein entsteht bei Vulkanausbrüchen durch blitzschnelle Abkühlung kieselsäurehaltiger Lava. Auch heute noch gilt Obsidian in Island als Orakelstein und Glücksbringer. Allerdings ist es Touristen streng verboten, diesen begehrten Schmuckstein als Souvenir mit nach Hause zu nehmen.


Obsidian

Bimsstein ist geologisch nichts anderes als in kleinen Bröckchen erstarrter Lavaschaum, der porös und leichter als Wasser ist.

Asgard ist eine uneinnehmbare Festung, so beschreibt die Edda die Götterburg. Ein Bollwerk, glänzend und leuchtend. Meinten die Mythendichter einen Berg aus Glas? Die Hinweise auf Glanz und Leuchtkraft der Götterburg Asgard erlauben eine verblüffende Lösung des Sagenrätsels. In Island gibt es tatsächlich Berge aus Glas. Sie bestehen aus Hyaloklastit, dem vulkanischen Glas. Dieses Naturphänomen entsteht, wenn glühende Lava mit Meerwasser oder Gletschereis in Berührung kommt.

Ein Vulkanberg aus Hyaloklastit beginnt bei einem bestimmten Winkel der Sonneneinstrahlung seltsam zu strahlen. Fast meint man, dass der Berg von innen heraus leuchtet. Die entschlüsselten Hinweise der Mythendichter ergeben wieder eine exakte Ortsbeschreibung. Die Götterburg Asgard muss danach ein Vulkan mit einem runden, schneebedeckten Hochplateau und steil abfallenden, bei Sonnenlicht auffällig glänzenden Felswänden aus vulkanischem Glas sein.

Das kann also nur ein Tafelvulkan sein. Der Tafelvulkan Herdubreid – Islands schönster Berg – könnte identisch mit der Götterburg der Edda sein.

Zur Götterburg Asgard gehört das Idafeld, ein immergrünes Feld von besonderer Schönheit. Die Isländer nennen so eine Hofwiese „Tun“. Gras war und ist in Island rar. Gerade die Einödhöfe mit ihrer gepflegten und gehegten Hofwiese ragen regelrecht aus der Mondlandschaft des Hochlandes heraus. Auf dem Idafeld wurde laut Edda von zwölf göttlichen Richtern über das Schicksal der Welt entschieden, hier trafen sich die Asen auch gelegentlich zum Brett- und Würfelspiel. In der Tat gibt es im Angesicht der Herdubreid eine „Hofwiese“ – die Oase Herdubreidalindir im Nordosten des Tafelvulkans. Sie ist eine der ganz wenigen Oasen im schwarzen Ödland der Missetäterwüste und ist auch heute noch für jeden Wanderer, Reiter oder Geländewagenfahrer ein Highlight der Hochlanddurchquerung: Wiesen, zwei kleine Quellen, dazu Vögel, Schmetterlinge und das seltene arktische Weidenröschen sind hier mitten im Ödland zu finden.

„Ifing heißt der Strom, der den Söhnen der Riesen.
Den Grund teilt und den Göttern.
Durch alle Zeiten zieht er offen,
nie wird Eis ihn engen“.

Ein Strom, der nie vereist? Und das in Island, dessen Inneres jedes Jahr im Winter unter Eis und Schnee geradezu versinkt? Also können die Mythendichter wohl keinen Fluss aus Wasser gemeint haben. In Island gibt es Vukanströme, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit Flüssen haben. Sie entstehen aus extrem gasarmer und dünnflüssiger Magmamasse, sind relativ selten und stammen ausschließlich aus den Kratern von Schildvulkanen. Stricklava ist der geologische Ausdruck für diese Erscheinungsform des Vulkanismus, die ausschließlich in Island und Hawaii vorkommt.

Herđubreiđ (deutsch: die Breitschultrige) gilt mit ihrer auffälligen Form eines Tafelvulkans als Götterburg Asgard. Der Berg ist 1682 Meter hoch und liegt im isländischen Hochland in der Wüste Ódáđahraun, nicht weit entfernt vom Vulkan Askja.
Ein Eisriese bewacht den Eingang zur Gletscherhöhle.

Neben der Steinriesenwelt und der Götterburg existiert aber auch noch eine dritte Dimension in der Vorstellung der Mythendichter: die Eisriesenwelt.

Das Reich der Eisriesen ist in der Edda sehr genau beschrieben und zwar in der Hymiskvidha. Die Verse handeln vom Kampf zwischen dem Riesen Hymir und dem Gewittergott Thor. Hymir ist ein Rhimthurse, ein Frost-, Reif- oder Eisriese, der in seiner Eisriesenwelt haust und damit die isländische Gletscherwelt symbolisiert. Dass Götter und Riesen auch nur Menschen sind, zeigt sich im Beginn der Geschichte ganz deutlich. Meeresgott Aegir lädt nämlich die Götter zu einem Gastmahl ein und hat das Bier vergessen. (Wenn das nicht menschlich ist!) Sofort schlägt Kriegsgott Tyr vor, einen Braukessel von seinem Vater, dem Riesen Hymir, zu holen und das Getränk selbst zu brauen.

Eishöhle im Vatnajoekull

Zu den Bildern
Der Vatnajökull (Wassergletscher) ist der größte isländische Gletscher, seine Zungen reichen bis zur Südküste und kalben dort in einen Gletschersee.

Der Dichter hat in das Hymir-Lied zahlreiche Ortsbeschreibungen eingearbeitet, die darauf hindeuten, dass das Reich der Eisriesen in der Nähe der Südküste gewesen sein muss. Hier liegt der größte europäische Gletscher, der Vatnajökull, mit seinen unzähligen Gletscherzungen und mehreren Gletscherseen. Sogar Eishöhlen, durch geothermale Vorgänge, im Gletscher entstanden, kann man hier finden. Gleich nebenan der Myrdalsjökull. Unter den Gletschern ticken Zeitbomben in Form aktiver Vulkane. Besonders gefürchtet ist auch heute noch die Katla (Hexe), im Myrdalsjökull, ein Vulkan, nach dem man fast die Uhr stellen kann. Verlässlich bricht sie eigentlich in jedem Jahrhundert zwei Mal aus. Die letzte große Eruption war im Jahr 1918. Sie ist also überfällig….

Bevor wir das Reich der Riesen endgültig verließen, machten wir noch einen Abstecher nach Norden an den Myvatn (Mückensee). Hier liegt die sagenumwobene Flammenburg der Riesentochter Gerda. Im Sagentext heißt die Flammenburg „vafrlogi“. Die Übersetzung lautet etwa Waberlohe.

Hier spielt eine Liebesgeschichte. Der Dichter erzählt, wie Fruchtbarkeitsgott Freyr von Asgard aus nach Norden blickt, die Riesentochter in ihrer Flammenburg entdeckt und sogleich in Liebe zu ihr entbrennt. Er sendet seinen Diener Skirnir als Brautwerber aus. Dieser überwindet zwar den Flammenring, stößt aber bei Gerda auf Widerstand. Sie will keines Mannes Minne sein. Der Götterbote versucht sie zuerst durch Geschenke umzustimmen, wendet dann aber die gewaltigste Drohung der altnordischen Sagaliteratur, den Runenzauber, an.

Am Gletschersee Jökullsarlón.
Gerdas Flammenburg, der Ringwallvulkan Hverfjall.

Als Bühnenbild der Skirnirsage muss die Waberlohe in irgend einer Form vulkanische Realität gewesen sein. Aber wo ist die Flammenburg zu finden? Im Skirnirlied hat der Mythendichter einen verschlüsselten Hinweis zur Waberlohe versteckt. In Strophe 10 des Liedes schreibt der Dichter, dass Skirnir bei seiner Reise über feuchte Berge fährt. Feuchte Berge können in Island nur Solfatarenfelder sein. Da wo elementarer Schwefel aus dem Erdinneren tritt und sich mit der Luftfeuchtigkeit zu schwefliger Säure verbindet, ist auch bei Frost oder Trockenheit immer eine schmierige, glitschige Schicht auf dem Boden zu finden. Auf dem Weg vom Tafelvulkan Herdubreid zum Mückensee liegt die Bergkette Namafjall mit Islands berühmtesten Solfatarenfeldern. Sie heißen Hverarönd und bedecken einen ganzen Berghang. Hier führte zur Zeit der Edda-Dichter ein Reitweg entlang.

Und die rätselhafte Flammenburg? Sie muss sich demnach auf der anderen Seite des schlammfeuchten Namafjalls befinden, in der Nähe des Mückensees, der dort beginnt. Hier findet man - unübersehbar und in der Neuzeit von Tausenden Touristen fotografiert – den Ringwallvulkan Hverfjall. Der schönste und regelmäßigste seiner Art. 1200 Meter Durchmesser, 160 Meter hoch.

Namafjall, Islands berühmtesten Solfatarenfeld.
Mittlerweile ist die malerische Felsbrücke eingestürzt.

Walhall galt in der Vorstellungswelt der Mythendichter als herrlicher Palast , als Vision eines glücklichen Lebens nach dem Tod. Doch Walhall stand nur den im Kampf gefallenen Kriegern offen. Sie wurden noch auf den Schlachtfeldern von Walküren wachgeküsst und auf windschnellen Pferden als Gäste zu Odin gebracht. Dort tranken sie Met ohne Ende aus dem Euter der Ziege Heidrun. In Walhall bereiteten sich die Krieger auf den großen letzten Kampf, auf die Götterdämmerung (isl. Ragnarök) vor.

Vom Weg zur Unterwelt haben die Menschen der Vorzeit auffallend übereinstimmende Vorstellungen gehabt. Häufig gibt es einen Grenzfluss, der das Totenreich vom Reich der Lebenden trennt. In der Edda ist von einem tiefen, dunklen Tal die Rede. Von einer Schlucht. Und von einer Brücke. Über diese Brücke ritten die Toten zur Unterwelt. Eine Besonderheit der Vulkanlandschaft mag hier Mythen bildend gewirkt und zu der sagenumwobenden Brücke geführt haben. Denn es gibt sie wirklich: den Fluss, die Schlucht und auch die Brücke (bis vor einigen Jahren jedenfalls).

Die Schlucht heißt Eldgjá (Feuerspalte). Sie ist eine der gewaltigsten Vulkanspalten der Erde, bis zu 150 Metern tief. Dabei wild, unwirklich und pechschwarz. Besonders imposant ist die Feuerspalte an ihrem nordöstlichen Ende, wo sie sich fünf Kilometer lang als wahrhafter Schlund hinzieht, nur fleckenweise von giftgrünem Moos bewachsen. Dort wölbte sich auch vor einigen Jahren noch in halber Höhe an der Nordwestwand eine gleichmäßig gebogene Felsbrücke vor einem Wasserfall. Mittlerweile ist allerdings die malerische Felsbrücke eingestürzt. Die Kulisse ist trotzdem gewaltig: Zwei Wasserfälle rauschen die rund 150 Meter hohe Felswand hinab. Unten vereinen sich die Wasserkaskaden zu einem dunklen, fast tintigen Bach, der geräuschlos durch das Tal abfliest.

Die Kulisse ist trotzdem gewaltig: Zwei Wasserfälle rauschen die rund 150 Meter hohe Felswand hinab. Unten vereinen sich die Wasserkaskaden zu einem dunklen, fast tintigen Bach, der geräuschlos durch das Tal abfliest.









Im Land der Trolle und Zwerge
Mitternachtssonne im Hochland.

Viel zu schnell ging unsere Urlaubszeit im isländischen Hochland zu Ende. Viele der dramatischen Schauplätze der Götterdichtungen lassen sich in der vulkanischen Landschaft des isländischen Hochlandes noch entdecken. Abenteuer der ganz besonderen Art. Beschäftigung der Fantasie mit den Mythen der germanischen Götterwelt. Vor allen Dingen aber die ungezähmte und unzähmbare Wildnis Islands machen das Abenteuer perfekt. Mittlerweile haben wir mehrere Reisen in diese unwirkliche Landschaft unternommen. Immer mit eigenem Geländewagen und Zelt. Wichtig ist es, die empfindliche Vegetation zu schützen. Offroadfahren ist streng verboten! Zelten darf man nur auf ausgewiesenen Plätzen. Auch das Sammeln von Steinen sollte man unterlassen! Nur so wird die atemberaubende Kulisse der alten Göttersagas noch lange erhalten bleiben.

Ich habe absichtlich die alten Dias unserer ersten Reise eingescannt und zur Bebilderung des Berichtes verwendet. Spätere Digitalaufnahmen haben zwar eine bessere Qualität, dennoch präsentieren die Bilder der erste Reise vor 20 Jahren die ganz besondere Atmosphäre. Nur wenige Isländer im Hochland, über Wochen keine Touristen. Das hat sich mittlerweile grundlegend geändert.