Wikingers Weihnachtsessen

Fermentierte Rochenflügel gehören auch heute noch für vile Isländer zum Weihnahctsessen dazu.

Viele Islandfreunde können ein Lied davon singen. Nicht alles, was den Inselbewohnern schmeckt, erfreut auch unseren mitteleuropäisch geschulten Gaumen. Wer schon einmal in Island Haukárl – den vergammelten Eishai – probiert hat, weiß, was ich meine. Nur mit einem ordentlichen Schluck Schnaps lassen sich die glitschigen Würfelchen im Snackformat überhaupt herunterbringen. Aber es kommt in der Weihnachtszeit noch schlimmer, viel schlimmer. Gammelrochen, halb verwest und erbärmlich stinkend, ist zurzeit das Hauptgericht bei vielen familiären, betrieblichen und vereinsinternen Weihnachtsessen. Ein Wintergericht, wie hier zu Lande Grünkohl.

Wir waren heute dazu eingeladen. Hier mein nicht ganz ernstgemeinter Gourmetbericht:

Kaest Skata werden die fermentierten Rochenflügel genannt und traditionell am 23. Dezember in den isländischen Familien verspeist.
Horst schiebt sich todesmutig einen Bissen der Leckerei in den Mund.


In der Adventszeit liegt anderenorts der Duft von Zimt und Keksen in der Luft. In Vogar, einem 3000 Einwohnerort im Südwesten Islands erfüllt heute ein beißender Gestank das Clubzimmer der Lions. Selbst Beggi Alfthorsson, ansonsten gewiss nicht zimperlich, zuckt kurz mit der Nase, als er den Deckel von der Kiste mit den Zutaten für das Festmenü abnimmt. „Ihr müsst euch nach dem Essen unbedingt umziehen“, hat er uns gewarnt. Der Geruch würde sich besonders lange in Pullovern festsetzen. Und er zieht sogar Gummihandschuhe an beim Zubereiten der allseits geliebten Delikatesse Gammelrochen.

Was jedem Festlandseuropäer den Magen umdreht, ist in Island schon seit Jahrhunderten weit verbreitete Sitte: In der Woche vor Weihnachten speist die ganze Familie, der Verein oder die Firma gemeinsam "Kaest Skata", fermentierten Rochen. Dabei ist der Fisch eigentlich giftig und völlig ungenießbar. Ähnlich wie der Hai, der die Harnsäure nicht über die Nieren ausscheidet, sondern im eigenen Fleisch ablagert, ist es auch beim Rochen. Irgendwann aber in Zeiten der Hungersnot muss ein Isländer mit der Todesverachtung eines Wikingers herausgefunden haben, dass man Rochen doch essen kann, wenn man ihn nur lange genug rotten lässt.

Schwarzbrot mit Butter, Kartoffeln, Steckrübe und Skatta gehören in Island zur Weihnachtszeit dazu. Darüber wird noch ausgiebig ausgelassenes Hammelfett mit Grieben verteilt.
Zum Gammelrochen wird auch noch Hammelfett als Sauce gereicht.

Als Beifang bringen die Fischer den Rochen meist mit nach Hause. Die Zubereitung ist denkbar simpel: Den Fisch im Bottich verenden lassen, dann bei konstanter Temperatur lagern. Nicht wässern, nicht umschichten, Katzen und Kinder fern halten. Nach vier Wochen kommt etwas Salz dazu. Natürlich benötigt man für die „Reifung“ einen Ort, an dem die olfaktorischen Begleiterscheinungen des Zersetzungs- und Fermentierungsprozesses geduldet werden. Möglichst abgelegen sollte der Ort schon sein, damit der Familienrat oder Nachbarn nicht mit Protest und Prügel drohen. Nach vier, fünf Wochen ist die Delikatesse reif.

Dann beginnen die Vorbereitungen für das Festmahl. Beggi hat in diesem Jahr 40 Kilo der Delikatesse geordert. Seine Augen glänzen voller Vorfreude, als er uns den unbeschreiblichen Duft präsentiert. Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen, merke aber, dass sich Schweißtropfen auf meiner Stirn sammeln. Nur ja nicht hinriechen, sage ich mir selber immer wieder. Das wabbelig- welke Fleisch stößt Duftwolken aus, die Atemnot erzeugen. In der kleinen Club-Küche warten schon mehrere Helfer, die den Gammelrochen in Salzwasser weichkochen und dann die Stücke auf großen Platten auftragen. Für die „Weicheier“ unter den Gästen wie mich, gibt es noch eine Schüssel voller Salzfisch. Der Gestank des Skata ist infernalisch. Das Erhitzen setzt Ammoniak in solchen Mengen frei, das der um Atem ringende Besucher nachzusinnen beginnt, ob Island je die Haager Landkriegsordnung für die Ächtung von Gas ratifiziert hat.

Ammoniak liegt in der Luft. Viele Isländer trinken zum Skatta ein Glas milch.
Weich und wabbelig landet der Fisch auf dem Teller.

Aber das ist noch nicht alles. Als nächstes füllt Beggi großzügig ausgelassenes Schafsfett mit Grieben in eine Sauciere. Wie das riecht!! Auch Kartoffeln und große Stücke Steckrüben gehören zusammen mit dem penetranten Hammeltalg unbedingt zu dem Weihnachtsessen dazu. „Deswegen müssen die Teller unbedingt heiß sein“, betont Beggi, der Gourmet. Würzen? Nicht nötig, den Geschmack kann man nicht toppen. Mein Mann probiert. „Streng“ sei kein Ausdruck für dieses Aroma, so sein erster Kommentar. Die rohe und schlachtfrische Robbenleber in Grönland hätte dagegen Dreisternequalitäten gehabt, erklärt er unserem Freund Beggi, der über beide Backen strahlt. Ob er sich wohl innerlich an unserem Elend weidet? Der Anstand gebietet es, wenigstens ein paar Happen zu essen. Die Nase dagegen verlangt, sofort das Haus zu verlassen. Wie in drei Teufelsrochen Namen können sich die Isländer nur dafür begeistern? Rätselhaftes Inselvolk.

Beggi kostet einmal hier und pult dann dort ein bisschen Glibber vom Rochenflügel. Er hat von seiner gesunden Gesichtsfarbe nichts eingebüßt. „Schön scharf", schwärmt er. Aber noch lieber als Skata sei ihm der Salzfisch, gesteht er. So langsam hat sich die gute Stube mit erwartungsvollen Essern gefüllt. Riesenstücke der glibberigen Spezialität werden auf die Teller geladen und großzügig mit bruzzelndem Hammelfett übergossen. Als Verdauungshilfe fehlte jetzt nur noch ein Stück Eishai. Na dann, fröhliche Weihnachten!!!

Freund Beggi lässt es sich schmecken.